Die ideologische Indoktrinierung nordkoreanischer Athleten

Obwohl die Asienspiele in Incheon, Südkorea,
offiziell noch nicht begonnen haben [die Eröffnungszeremonie fand am
vergangenen Freitag statt; der ursprüngliche Artikel stammt aus der vergangenen
Woche, Anm. d. Übersetzers], sind Mitglieder des nordkoreanischen Teams bereits
durch ihr Verhalten im Süden aufgefallen. Es besteht Grund zur Sorge, dass dies
während der Veranstaltung zu größeren Problemen führen wird.

 

Die Fußballmannschaft der Männer protestierte
gegen die Verwendung des Wortes Bukhan [Nordkorea] auf einem Transparent, mit
dem sie auf dem Übungsplatz in Dongchun-dong, Incheon, am vergangenen Freitag
empfangen wurde. Die Mitglieder verlangten, dass das Wort zu „bukcheuk“
[Norden] geändert oder ganz darauf verzichtet wird. Erst, als man das
Transparent gänzlich entfernt hatte, war das Problem beseitigt.

 

Nordkoreas Missbilligung des Wortes Bukhan
während offizieller Veranstaltungen rührt von dem Glauben her, dass Südkorea
damit seine Existenz als unabhängiger Staat anzweifelt – die offizielle
Bezeichnung lautet Demokratische Volksrepublik Korea [DVRK].

 

Die Fußballmannschaften der Männer und Frauen
hielten ihr erstes Training am Freitag in einem geschlossenen Rahmen und mit
verstärkten Sicherheitsvorkehrungen. Sie änderten ihren Zeitplan spontan und
verhinderten den Zugang der Medien, obwohl sie sich bei ihrer Ankunft noch als
relativ freundlich gesinnt gezeigt hatten.

 

Laut Angaben von Flüchtlingen würden Nordkoreaner
ihren Aufenthalt im Süden als „Konfrontation mit dem Feind“ sehen, weshalb sie
vor der Abreise über längere Zeit ideologisch indoktriniert wurden. Jeglicher
persönlicher Kontakt zu anderen Athleten ist ihnen untersagt, und alle
Antworten auf mögliche Fragen sind vorgegeben, sodass man kaum unerwartete
Äußerungen von ihnen hören wird.

 

Zudem erachtet Nordkorea internationale
Sportveranstaltungen als gute Gelegenheit, seine „Überlegenheit des Systems“
öffentlich zu demonstrieren. Überläufer behaupten, dass sie sich deswegen
gegenüber Unbeteiligten oft merkwürdig verhalten. Weil viel Wert auf
angemessene Antworten auf kritische Fragen zur Führung und Politik Nordkoreas
gelegt wird, sind die Sportler meist sehr aufgebracht und reagieren unverhofft
auf alles Mögliche, wie zum Beispiel die Verwendung des Begriffs Bukhan.

 

In ihrer Delegation befinden sich einzelne
Mitglieder, die mit dem Befragen der Sportler und ihrer Coaches beauftragt
sind. Während der zwei Wochen der Asienspiele beobachten sie jeden Schritt, den
ein Spieler macht, genauestens. Diese Beobachter, „Betreuer“ genannt, verfolgen
auch öffentliche Reaktionen des Südens, die Nordkorea ungünstig sein könnten,
und entscheiden, wie darauf zu reagieren ist. Dadurch, so Überläufer, könnten
sie potentielle Konsequenzen bei ihrer Rückkehr verhindern und gleichzeitig
Punkte für ihr Land sammeln.

 

Am 16. September sprach Daily NK telefonisch
mit einem ehemaligen Mitglied der nordkoreanischen Sicherheitsbehörden, der
nach Südkorea übergelaufen war, um mehr über die Vorbereitungen der
Nordkoreaner zu den Asienspielen herauszufinden.

 

Daily NK [DNK]: Welche Art der Indoktrinierung
erhalten die Athleten, bevor sie nach Südkorea kommen?

 

Früherer Sicherheitsbeamter [ES]: Sowohl
Südkorea als auch die USA gelten als feindliche Staaten, aber die Art der
Indoktrinierung ist viel härter, wenn sie in den Süden kommen. Bei den Athleten
wird am meisten Wert darauf gelegt, dass sie keine Fantasien über den Süden
haben. Die Hirnwäsche lautet unter anderem: „Südkorea sieht von außen zwar
schön aus, aber im Kern ist alles verrottet.“ Es wird ihnen gesagt, dass alles,
was sie im Süden sehen und hören, direkt vom Feind stammt.

 

Man übt mit dem Athleten präzise, was sie
sagen und wie sie sich verhalten sollen, wenn sie auf Ausländer treffen. Zudem
teilt man ihnen ein Handbuch namens „Zu erwartende Fragen und Antworten darauf“
aus und rät ihnen, auf Fragen nicht sofort zu antworten [sodass die Antworten
nicht gestellt wirken].

 

DNK: Können Sie uns Beispiele für solche
Antworten geben?

 

ES: Bei Fragen zur Menschenrechtssituation
müssen sie beispielsweise sagen: „In Nordkorea steht der Mensch im Mittelpunkt,
und es herrscht größter Respekt für die Menschenrechte“, oder „Was Arbeit und
Bildung betrifft, müssen wir uns um nichts sorgen. Jeder erhält kostenlose
medizinische Betreuung und Bildung und genießt Freiheit ohne
Klassenunterschiede.“ Auch beim Sport selbst ist Propaganda garantiert, und man
kann erwarten, dass sich viele Athleten zu ihrem überlegenen Staat äußern.

 

Was das betrifft, werden sie wohl sagen: „Dank
des Marschalls [Kim Jong Eun], der den Sport allen Menschen zugänglich gemacht
hat, kann jeder mit ausreichend Talent mitmachen.“ Ebenso, dass die
Nordkoreaner „dank der hervorragenden Sportanlagen Vorteile genießen, um die [sie]
die ganze Welt beneidet“. Zudem werden sie nicht vergessen, den Führer für
seine sorgfältig erarbeiteten Strategien zu preisen, die solch erstaunliche Ergebnisse
erst ermöglicht hätten.

 

Auch vor Zusammenkünften getrennter Familien
werden die Teilnehmer ideologisch geschult, aber vor diesen Spielen war es mit
Sicherheit ungleich strenger. Die Familienzusammenkünfte finden in einen
kleinen zeitlichen und örtlichen Rahmen statt, aber während der Asienspiele
haben die Athleten einen viel größeren Bewegungsraum und werden Journalisten
aus allen möglichen Ländern treffen.

 

DNK: Können Athleten wegen der Indoktrinierungskurse
ausscheiden?

 

ES: Die Sitzungen werden üblicherweise von der
Propagandaabteilung durchgeführt, und es gibt separates Studienmaterial als
Vorlage dazu. Die Athleten müssen es lediglich auswendig lernen. Normalerweise
trainieren sie tagsüber und lernen bei Nacht für den Fall unangekündigter
Kontrollen. Alle lernen daher beinahe das ganze Handbuch auswendig, um ihren Platz
im Team nicht zu gefährden; zudem mussten sie ja bereits von Kindesbeinen an
die ‚Zehn Grundsätze’ (Die Zehn Grundsätze der Partei zur Etablierung des
Ein-Parteien-Systems) lernen, daher gibt es kaum eine Möglichkeit, deswegen aus
dem Team auszuscheiden. Normalerweise sind es Songbun-Fälle [Loyalität und
politischer Hintergrund der Familie], die die meisten Probleme bereiten.

 

DNK: Werden aufgrund der Indoktrinierung
absichtlich Probleme wie mit der Verwendung des Wortes Bukhan provoziert?

 

ES: Dafür sind wohl eher Spezialagenten
innerhalb der Delegation verantwortlich, nicht gewöhnliche Athleten. Wenn
zusätzlich zu den Sportlern 100 Leute mitkommen, sind davon wohl 30 oder 40
echte Delegierte, also zum Beispiel Trainer, und die restlichen 60 sind Agenten
des Staatssicherheitsdienstes und des Generalbüros für Aufklärung.

 

Es handelt sich dabei um ausgewählte
Mitglieder, die üblicherweise über einen hohen Grad an Loyalität verfügen. Jene
in höheren Positionen werden vorrangig behandelt, und sie nutzen jede
Gelegenheit, Südkorea zu kritisieren, damit sie anschließend behaupten können,
etwas geleistet zu haben.

 

DNK: Welche Aktionen sind ihrerseits zu
erwarten?

 

ES: Sie können vorgeben, Journalisten zu sein,
um dadurch den Süden zu bemängeln. Falls bestimmte Gruppen jedoch auch nur
einen Funken Kritik am Norden äußern, werden sie sich darüber empören und die
Sicherheit ihrer Athleten in Frage stellen. Ebenso können sie behaupten, dass
die Unterdrückung durch Seoul zunehme und auf die Anwesenheit von Polizisten
und Geheimdienstagenten während der Spiele verweisen.

 

Zudem könnten sie auch Propaganda über die
Anwesenheit pro-nordkoreanischer Gruppen verbreiten, die die Delegation empfangen,
um zu behaupten, sie „verehren den Marschall“. All dies wurde
höchstwahrscheinlich bereits im Vorfeld von der Propagandaabteilung geplant.

 

DNK: Welches sind die wichtigsten Aufgaben der
Agenten während der Asienspiele?

 

ES: Die Staatssicherheit und die Aufklärung
haben unterschiedliche Aufgaben. Die Stasi-Agenten werden die nordkoreanische Delegation
überwachen, sowohl die Trainer als auch sonst alle, und jeden Abend mit ihnen
die Spiele des Tages durchgehen und dabei Fragen stellen wie „Was denkst du
über Südkorea?“, „Was für Gespräche hast du geführt?“ und dergleichen. Sie
werden sich verhalten wie in einem feindlichen Land, dabei stets in höchster
Alarmbereitschaft bleiben und über das Verhalten jedes Einzelnen wachen. Der
Grund ist, dass sie befürchten, dass im Gespräch mit Südkoreanern und
Ausländern ideologische Risse entstehen oder Mängel in Nordkorea enthüllt
werden.

 

Die Leute von der Aufklärung hingegen werden
sich auf das Studium der südkoreanischen Gesellschaft fokussieren. Beim Hinflug
werden sie die Küstenregion analysieren, und anschließend werden sie versuchen,
die Infrastruktur des Südes wie beispielsweise Flughäfen, Straßen, Tunnel und
Häfen zu verstehen.